Partizipation im Familienalltag leben.

Um die Bedeutung des Rechts auf Risiko in der kindlichen Entwicklung beleuchten zu können, schauen wir uns zunächst einmal an, wie Kinder heute in Deutschland groß werden. Während unsere Eltern damals auf der Straße, auf Wiesen und in Wäldern gespielt haben (und wir vielleicht zum Teil auch noch), so ist dies für unsere Kinder fast schon undenkbar geworden. Die Bebauungsdichte in den Städten nimmt stetig zu, in Folge dessen auch der Verkehr. Dies ermöglicht uns kurze Wege zur Arbeit, zu Supermärkten, zu Schulen, zu Kitas, und zu Ärzt*innen. Auch Freizeitangebote wie Musik- oder Sportunterricht können vielerorts wohnungsnah wahrgenommen werden. Auf dem Land sind die Wege zwar länger, dafür hat jede Familie inzwischen mindestens ein, wenn nicht sogar zwei Autos. Was sich jetzt erstmal praktisch und fortschrittlich liest ist für die kindliche Entwicklung ebenso kritisch zu betrachten.

In Artikel 31, Absatz 1 der UN Kinderrechtskonvention ist das Recht auf Spiel- und Freizeit und in diesem Zusammenhang auch das Recht auf Risiko verankert. Demzufolge haben Kinder das Recht zu spielen und an verschiedenen Freizeitaktivitäten teilzunehmen. Kinder und Jugendliche sollen die Möglichkeit haben ihre Aktivitäten frei zu wählen, über sich selbst hinaus zu wachsen, Risiken einzugehen und ihre Freizeit zu genießen.

Doch warum ist eine gewisse Risikobereitschaft so wichtig für unsere Kinder, sodass es hierfür sogar eine Gesetzesregelung gibt? Kurz und knapp: Kinder sind dafür gemacht Risiken einzugehen. Denken wir einmal an das Laufen lernen. Dieser wichtige Meilenstein würde nicht erreicht, würde unser Kind nicht das Risiko in Kauf nehmen, bei den ersten wackeligen Schritten auch mal auf den Po zu fallen. Genauso verhält es sich mit dem Laufrad- und Fahrradfahren und allen anderen Entwicklungsschritten. Wenn ein Kleinkind versucht sich selbst anzuziehen, landet auch mal die Unterhose auf dem Kopf. Und wenn Kinder beginnen ihren eigenen Namen zu schreiben, schreiben sie manche Buchstaben zunächst noch spiegelverkehrt. Wir sehen also: Eine Kindheit ohne Risiko wäre eine Kindheit im Freeze-Modus. Keine Entwicklung und kein Wachstum möglich.

Was brauchen unsere Kinder also? Sie brauchen eine Umwelt, in der sie sich frei bewegen können. Nicht immer nur an der Hand laufen müssen, weil die Straße so stark befahren ist. Sie brauchen unbebaute Flächen, Spielplätze, Wiesen, Wälder und Bäche. Orte an denen sie ihrer Kreativität und ihrem natürlichen Bewegungsdrang freien Lauf lassen können und sie ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen. Einen Baum hinauf klettern, ohne vorher zu wissen wie man wieder herunter kommen. Mit den Händen einen Lehmklumpen formen und sich überraschen lassen, was dabei entsteht. Über eine breite Pfütze hüpfen, ohne vorher zu wissen, ob man wirklich schon so weit springen kann. Mit dem Skateboard einen Berg heruntersausen und erst währenddessen herausfinden, wie man mit dem Ding überhaupt bremst. All das müssen unsere Kinder tun dürfen. Und zwar am besten ohne kritisch dreinschauende Erwachsene, die jeden Schritt kommentieren und im Falle eines Sturzes direkt „hab ich es Dir doch gesagt!“, rufen. Im Beisein von Erwachsenen, die Kindern etwas zutrauen und sie ermutigen Dinge auszuprobieren. Erwachsene, die Risiken einschätzen und abwägen können. Die also ihre eigenen Ängste reflektieren („Ist meine Angst berechtigt? Was würde im schlimmsten Fall geschehen? Riskiert mein Kind hier sein Leben oder nur eine Beule?“). Erwachsene, die ihre Kinder je nach Alter und Entwicklungsstand auch mal alleine irgendwo hingehen lassen, sodass Kinder auch wieder unbeobachtet und ausschließlich unter Kindern spielen können.

Kindheit ist Lernen. Kindheit ist Wachstum. Kindheit ist Entwicklung. Kindheit ist Ausprobieren. Kindheit ist Risiko. Kindheit ist hinfallen, eine Beule bekommen, es morgen erneut probieren und dann voller Stolz zuhause berichten, dass man es endlich hinbekommen hat. Jedes Kind hat ein Recht auf Risiko! Oder anders: Jedes Kind hat ein Recht auf seine eigenen Erfahrungen.

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