Partizipation im Familienalltag leben.

Lieber Luis,

Heute ist Dein Geburtstag. Wenn Du noch leben würdest, wärest Du nun ein Jahr alt. Wir denken viel an Dich, 

heute umso mehr und bewusster. Wir wollten Deinen Geburtstag ein bisschen für Dich feiern. Dein Papa, Deine große Schwester und ich.

Und Emma meinte, dass wir dann auch einen Kuchen backen müssen. Einen Schokoladenkuchen, weil wir ja nicht wissen welchen Kuchen Du gerne magst. Und Schokoladenkuchen mag ja jedes Kind. Den haben wir dann gegessen und Deine Kerze angezündet, die eine liebe Seele für uns gestaltet und uns geschenkt hat.

Manch einer mag es befremdlich finden, dass wir Deinen Geburtstag feiern, wo Du doch gar nicht mehr lebst. Aber weißt Du was? Es ist mir egal. Du bist unser Kind, Emmas Bruder, und wir dürfen alles machen was wir wollen um uns Dir nahe zu fühlen. Ob wir Deinen Geburtstag auch in ein paar Jahren noch feiern werden? Ich weiß es nicht. Aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir das tun, was unserer Familie gut tut. Jetzt, in diesem Moment. Und das kann nächstes Jahr oder in ein paar Jahren etwas ganz anderes sein als heute.

Ich kann mich noch sehr gut an den Tag erinnern, an dem wir erfuhren, dass Dein kleines Herzchen nicht mehr schlägt.  Von einem Moment auf den anderen war unser Glück zerstört.

Wir waren so voller Vorfreude auf Dich. Mir ging es gut. Endlich hatte ich die Übelkeit hinter mich gelassen und konnte die Schwangerschaft genießen. Und dann – bei einem Routine-Ultraschall die Nachricht, dass Du nicht mehr lebst. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie wir uns gefühlt haben. Es war ein bisschen wie im falschen Film zu sein. Doch leider war es wahr.

Was dann folgte war die reinste Hölle für unsere kleine Familie. So eine Art von Trauer habe ich noch nie zuvor erlebt. Ein Kind zu verlieren ist wohl das Schlimmste, was einem passieren kann. Eine Zeit lang konnte ich an nichts anderes denken als an Dich. Ich weiß noch, wie ich versucht habe mich zusammen zu reißen, um Deine Schwester Emma zu schützen. Ich wollte nicht, dass sie mitbekommt, wie schlecht es mir ging. Aber es war einfach nicht möglich. So sehr ich mich auch anstrengte, die Trauer und die Tränen brachen immer wieder aus mir heraus. Heute denke ich, dass es okay war. Denn natürlich wusste sie schon längst von dem Baby in meinem Bauch, streichelte ihn täglich und freute sich auf ihr Geschwisterchen. Wir hätten nicht einfach so tun können, als sei nichts passiert. Wir haben Emma aktiv mit einbezogen, ihr erklärt, dass ihr kleiner Bruder nun im Himmel wohnt, gemeinsam einen Baum für Dich gepflanzt und um Dich getrauert.

Unser Umfeld formulierte in den kommenden Wochen und Monaten sehr deutlich, wie wenig Verständnis sie für unsere Trauer hatten. Sätze wie „Ihr habt doch schon ein gesundes Kind, an dem ihr euch erfreuen könnt“, „Seid ihr denn IMMERNOCH so traurig?“ „Seid doch froh, dass es so gekommen ist, vielleicht wäre es ja behindert gewesen“,  „Seid froh, dass ihr erst in der 13. Schwangerschaftswoche ward, ich kenne eine Frau die in der soundsovielten Woche war und das ist ja wohl noch viel schlimmer!“, haben sich in unseren Kopf eingebrannt. Sehr oft kam auch der Rat, wir sollten uns professionelle Hilfe holen. Versteh mich nicht falsch, es kann durchaus Sinn machen, sich psychologische Unterstützung zu holen. Dennoch finde ich es mehr als erschreckend, wie oft uns dieser Tipp gegeben wurde. Wenn wir sie gebraucht hätten, dann hätten wir uns Hilfe geholt. Was wir aber vor allem brauchten war Zeit und Verständnis, in Ruhe trauern zu dürfen. Und genau das haben uns viele einfach nicht zugestanden.

Ich frage mich: Warum nicht? Sterneneltern haben ein gutes Recht zu trauern. Sie haben ihr Kind verloren und es spielt überhaupt keine Rolle, in welcher Schwangerschaftswoche dies passiert ist oder ob das Kind bereits geboren war. Das mag für Außenstehende (leider) einen Unterschied machen. Für Sterneneltern ist es einfach nur ihr Kind. Und es tut unglaublich weh, wenn es stirbt. Und das darf es auch!

Manchmal habe ich mich gefragt, was mit unserer Gesellschaft schief läuft. Ich habe noch nie gehört, dass wenn ein Ehepartner, ein Elternteil oder ein Großelternteil verstorben ist angeraten wurde sich professionelle Hilfe zu holen. Oder dass gefragt wurde „Ist es denn IMMERNOCH so schlimm für dich?“ oder „Sei froh, dass dein Mann erst mit 57 Jahren gestorben ist. Ich kenne eine Frau, deren Mann ist mit 34 verstorben und das ist ja wohl noch viel schlimmer!“ Umso öfter habe ich aber schon gehört, dass Sterneneltern aus Angst vor den Reaktionen ihres Umfeldes  ihren Verlust für sich behalten haben. Oder von Sterneneltern, deren Umfeld ähnlich reagiert hat wie unseres. Das muss sich ändern!

Du wirst immer unser Kind sein und für immer zu unserer Familie gehören. Wir werden nie verstehen, warum Du gehen musstest. Aber vielleicht kann unsere Geschichte ein kleines bisschen dazu beitragen, dass sich andere Sterneneltern nicht so allein gelassen fühlen, wie wir uns gefühlt haben.

Wir haben Dich sehr lieb! Happy Birthday kleines Sternenkind!