Partizipation im Familienalltag leben.

Den Ursprung der bindungs- und bedürfnisorientierten Pädagogik finden wir in den USA. Der Kinderarzt Dr. William Sears trat in den 1980er Jahren gemeinsam mit seiner Frau Martha Sears in verschiedenen amerikanischen Fernsehshows auf. Hier warben sie für ihren Erziehungsstil, den sie bei ihren 8 gemeinsamen Kindern anwandten. Auch einige Bücher brachten die beiden gemeinsam auf den Markt. Attachment Parenting, kurz AP (deutsch: Bindungserziehung; bindungsorientierte Elternschaft) nannten sie ihren Ansatz der Kindererziehung. Charakteristisch für diese neue Form der Elternschaft war vor allem das bonding nach der Geburt, das Stillen der Babys, das Tragen der Babys in einer Tragehilfe, das gemeinsame Schlafen im Familienbett, das prompte Reagieren auf das Weinen des Babys, der Verzicht auf so genannte Schlaftrainings, sowie die Balance zwischen den Bedürfnissen aller Familienmitglieder (auch denen der Eltern!). Sears Form der Elternschaft stützte sich auf die Bindungstheorie Bowlbys und Ainsworths. Diese ist bis heute eine der wichtigsten wissenschaftlichen Studien zum Bindungsverhalten von Kindern, auf die sich Pädagogen und Psychologen noch immer beziehen. Auch wenn Sears Form der Elternschaft noch sehr auf die Mutter ausgerichtet war, und er einen autoritären Erziehungsstil befürwortete (er behauptete unter anderem, dass ein AP-Kind sich bereits durch ein Stirnrunzeln der Eltern „disziplinieren“ lasse), so hat das Ehepaar Sears doch wichtige Pionierarbeit in der Begleitung von Babys und Kindern geleistet. 

Auch in Deutschland fand diese Form der „Erziehung“ Anklang. Hierzulande ist es unter anderem der Kleinkindpädagogin Susanne Mierau, dem Kinderarzt Herbert Renz-Polster, der Journalistin Nora Imlau und den beiden Expertinnen für bindungs- und bedürfnisorientierte Begleitung (kurz: BO) Frauke Ludwig und Diana Schwarz von Einfach Eltern® zu verdanken, dass bindungsorientierte Elternschaft immer populärer wird.  BO hat sich in den letzten Jahren zusehends weiterentwickelt zu dem, was es heute ist. Bindungsorientiert Kinder zu begleiten bezieht sich längst nicht mehr nur auf die Mutter. Im Zuge der Veränderung unseres gesellschaftlichen Familienbildes, ist die Rolle des Vaters in BO-Familien inzwischen gleichwertig. Allgemein ist BO viel moderner geworden. BO heißt schon lange nicht mehr, dass die Mutter zu Hause bleibt (es sei denn, sie möchte es) und auf Fremdbetreuung verzichtet wird.

In Hamburg findet seit 2014 alle zwei Jahre der Attachment Parenting Kongress statt, wo Experten und Expertinnen zu verschiedenen Themenschwerpunkten referieren. 

Aber was heißt bindungsorientierte und bedürfnisorientierte Begleitung von Kindern denn jetzt konkret?

Das größte Erziehungsziel der bindungsorientierten Elternschaft ist der Aufbau einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kindern, sodass sie später als selbstbewusste, selbstsichere Menschen mit einem starken Fundament in die Welt hinausgehen können. Wie dieses Ziel erreicht wird, kann ganz unterschiedlich aussehen. Es gibt keinen Fahrplan. Vielmehr ist es eine Einstellung, wie wir unseren Kindern begegnen. Wir begegnen unseren Kindern auf Augenhöhe und nehmen sie an wie sie sind. Wir bringen ihnen den gleichen Respekt gegenüber wie Erwachsenen. Wir wissen, dass unser Kind bereits jemand ist und nicht erst werden muss. Wir wollen unsere Kinder nicht in irgendeine Richtung hin „erZIEHEN“, sondern begleiten sie auf ihrem eigenen, ganz individuellen Weg. Besonders in den ersten Lebensjahren können wir uns zur Erfüllung der Bedürfnisse unserer Kinder an den von Sears festgelegten Punkten orientieren. Denn diese sind genau auf die Bedürfnisse von Babys und Kleinkindern zugeschnitten. Das heißt aber nicht, dass wir alle Punkte erfüllen müssen, die Sears vorgesehen hat. Susanne Mierau spricht von einem Baukastensystem aus dem wir uns bedienen dürfen, aber nicht müssen. Eine Familie die nicht gemeinsam im Familienbett schläft, kann genauso BO sein wie eine Familie die eben dies tut. Eine Mutter die nicht stillt, kann genauso bedürfnisorientiert das Fläschchen füttern. Wir sollten nicht auf einer Liste abhaken was wir alles tun um BO zu sein, denn darum geht es gar nicht. Es geht vielmehr um die Art und Weise wie wir miteinander umgehen, nämlich feinfühlig und wertschätzend.Immer wieder gerät bindungsorientierte Elternschaft auch in die Kritik, weil Eltern sich für ihre Kinder aufopfern würden, was über kurz oder lang zum Burnout führe. Tatsächlich ist Überlastung heute in vielen Familien ein Thema. Die Ursache hierfür liegt aber nicht am Erziehungsstil, sondern daran wie wir heute in unserer Gesellschaft leben. Ja, es ist sehr anstrengend, ein Baby in relativ kurzen Zeitabständen nach Bedarf zu stillen – und das auch nachts über mehrere Monate. Da scheint der Gedanke ans Fläschchen oder an von den Eltern festgelegte  Fütterungszeiten schon fast naheliegend. Dabei liegt hier der „Fehler“ nicht bei unserem Kind, das zu fordernd ist und auch nicht bei uns Eltern, die nicht belastbar genug sind, sondern am heute so häufig fehlenden Dorf. Lebten wir früher noch in großen Gemeinschaften, in denen sich mehrere Erwachsene mit der Kinderbetreuung abwechselten, so sind Eltern heute oft fast ausschließlich auf sich allein gestellt.